WAHRNEHMUNG
Im Reich der Sinne
Wie nehmen wir Menschen wahr? Was und wie viel wir wahrnehmen, ist von äußeren und inneren Faktoren abhängig. Manchmal hören wir nicht, was wir hören sollten, manchmal ist die Wahrnehmung von außen „vernebelt“. Friedemann Schulz von Thun, deutscher Psychologe, hat das Phänomen des selektiven Hörens untersucht und das Kommunikationsquadrat entwickelt, das erklärt, wie wir die Aufnahme von Informationen nach gewissen Kriterien filtern. Aber wir Menschen hören ja nicht nur…
Wir haben ein recht umfangreiches System des Wahrnehmens, über unsere fünf Sinne:
- Hören, die auditive Wahrnehmung mit den Ohren (Gehör)
- Sehen, die visuelle Wahrnehmung mit den Augen (Gesichtsempfindung, Gesicht)
- Riechen, die olfaktorische Wahrnehmung mit der Nase (Geruch)
- Schmecken, die gustatorische Wahrnehmung mit der Zunge (Geschmack)
- Tasten, die taktile Wahrnehmung mit der Haut (Gefühl)
Wahrnehmungstypen
Welcher Sinn besonders ausgeprägt ist, hängt von angeborenen und gelernten, konditionierten Faktoren ab. Manchmal ist es sehr hilfreich zu wissen, welcher Sinn der Hauptkanal des jeweiligen Menschen ist, um ihn mit einer Botschaft erreichen zu können. Im NLP, dem Neurolinguistischen Programmieren, einer Heil- und Coachingmethode, wird z.B. darauf geachtet, welche Worte ein Mensch benutzt, um herauszufinden, welcher Wahrnehmungstyp er ist.
Es gibt verschiedene Wahrnehmungstypen: Bei uns sehr verbreitet ist der visuelle Typ, der als Hauptsinneskanal das Sehen nutzt; aber natürlich auch die anderen Kanäle. Nie ist jemand nur ein Typ, sondern die Kombination aus vielen, dennoch hat er einen bevorzugten Sinneskanal, über den er wahrnimmt und sich mitteilt.
Weitere Wahrnehmungstypen sind: auditiv – Wahrnehmung hauptsächlich über das Hören; kinästhetisch – Tasten; Bewegen und Fühlen; olfaktorisch – Riechen sowie gustatorisch – Schmecken. Beispiel: Ein Kinästhet wird beim Sprechen viele Wörter aus dem Bereich des Fühlens und Bewegens verwenden. Wollen wir als Sprechender alle Typen erreichen, darf unsere Sprache jeden Bereich berücksichtigen.
Was ist Wahrnehmung?
Maria Pfluger-Jakob, Psychotherapeutin und Autorin des Buches „Kinder mit Wahrnehmungsstörungen erkennen, verstehen, fördern“ bezeichnet Wahrnehmung als aktiven Verarbeitungsprozess von inneren und äußeren Reizen. Dieser Verarbeitungsprozess beinhaltet die Informationsaufnahme durch die Sinnesorgane, was auch als Rezeption bezeichnet wird:
die Informationsweiterleitung über Nervenbahnen, die zum Zentralen Nervensystem (ZNS) führen (afferente Bahnen)
die lnformationsverarbeitung nach Eintreffen der Signale im ZNS (Perzeption)
die Informationsabgabe durch
einerseits Überführen von Signalen in die Motorik über die vom ZNS wegführenden Nervenbahnen (efferente Bahnen)
oder andererseits Speicherung der Information ohne erkennbare Reaktion als Erfahrung oder im Gedächtnis
die Rückmeldung an das ZNS über die afferenten Nervenbahnen
Entstehung der Sinne
Im Gegensatz zum Sehen sind alle anderen Sinne beim Menschen schon nach der Geburt vorhanden, wobei das Gehör als erstes entwickelt wurde. Babys entwickeln und verfeinern ihren Gesichtssinn erst sukzessive nach der Geburt in den ersten Lebensmonaten. Die anderen Sinne sind alle vorhanden, sie werden nur noch verfeinert.
Mit allen Sinnen lernen
Wir Menschen sind „sinnliche“ Wesen. Das heißt, wir können über alle Sinne wahrnehmen. Logisch, dass die nachhaltigste und einfachste Methode zu lernen diejenige ist, die alle Sinne anspricht. Viele Pädagogen, leider nicht alle, setzen bei ihren Lernkonzepten daher auf die Einbeziehung der Sinne, was die Entwicklung der Kinder am meisten unterstützt. Maria Montessori ist ein Name, der in diesem Zusammenhang genannt werden darf, aber natürlich auch Rudolf Steiner, der später noch einmal Erwähnung finden wird. Ein klärender Ansatz im Yoga ist der des „Learn to unlearn“ – der Weg, sich von seinen Prägungen frei zu machen, wieder neu zu lernen, Informationen ganzheitlich und die eigene innere Stimme wahrzunehmen.
Therapien unter Einbeziehung der Sinne
Derer gibt es vielerlei. Um nur einige zu nennen: NLP, wie schon erwähnt, berücksichtigt in der Heilung alle Sinne. Ein Beispiel: Auf welchem Sinneskanal das Problem entstanden ist, gibt den Hinweis, auf welchem es aufgelöst werden kann. Hakomi, eine erfahrungsorientierte Körperpsychotherapie mit tiefenpsychologisch fundiertem theoretischen Hintergrund, bietet eine Methode der achtsamen Wahrnehmung von Körperempfindungen, Sinneseindrücken, Gefühlen, Haltungen und Impulsen an. Hierdurch können bislang unbewusste hinderliche Erfahrungsmuster sowie zugrundeliegende Ressourcen sichtbar gemacht werden und tiefgreifende Veränderungen erfolgen.
Auch Yoga kann einen heilerischen Ansatz haben, so werden z.B. in den Stretches des Yoga des Tanzens alle Sinneskanäle geöffnet, so dass die Erfahrung der meditativen Bewegung ganzheitlich erlebbar wird und möglicherweise Raum für Heilung entsteht. „Forest bathing“, ein moderner Begriff für einen achtsamen und genussreichen Aufenthalt im Wald mit allen Sinnen, ist laut neuesten Erkenntnissen für eine Beruhigung des Nervensystems geeignet. Barfußlaufen verändert die Gehirnstrukturen ähnlich wie die Meditation.
Fünf oder gar sieben Sinne?
Die klassische Lehre über die Sinne beinhaltet fünf Sinne. Rudolf Steiner hat in seinem Vortrag von 1916 „Weltwesen und Ichheit“ sogar zwölf Sinne definiert. Er und andere Mystiker berichten über Eingebungen und außersinnliche Wahrnehmungen, die ein tiefes Gefühl von Wahrheit und Richtigkeit hinterlassen.
Der sechste Sinn
Der Ausdruck „sechster Sinn“ wird häufig verwendet, wenn jemand etwas bemerkt, ohne es (bewusst) mit den bekannten Sinnesorganen wahrzunehmen. Eine Art Vorahnung, vor allem bei Gefahr, wie Wissenschaftler von der Washington University in St. Louis (USA) mittels Magnetresonanztomographie nachweisen konnten. Eine bestimmte Hirnregion, der anteriore cinguläre Cortex (ACC), stellt ein Frühwarnsystem dar, das bei drohender Gefahr aktiv wird. Offensichtlich empfängt diese im Frontallappen liegende Hirnregion Umgebungssignale, die dann unverzüglich auf potenzielle Gefahren hin analysiert werden. Sollte eine Situation als „gefährlich“ interpretiert werden, schlägt das ACC sofort Alarm, so dass das Lebewesen die Möglichkeit hat, eine Änderung seines momentanen Verhaltens einzuleiten. Menschen, die auf diese Weise rechtzeitig einer Gefahrensituation entronnen sind, führen dies dann gerne auf ihren „sechsten Sinn“ zurück.
Und was ist der siebte Sinn?
Beim Menschen ist dieser siebte Sinn die Fähigkeit, etwas wahrzunehmen, zu spüren, ohne es mit den bekannten Möglichkeiten wahrzunehmen. Beispielsweise spürt man den Blick eines anderen Menschen in seinem Rücken, ohne diesen Menschen sehen zu können. Oder das wohl bekannteste Beispiel: Man spürt, dass gleich eine bekannte Person anruft. Ob und welche elektromagnetischen Wellen diese Information übertragen, ist noch nicht erforscht, und trotzdem gibt es dieses Phänomen. Viele verstehen unter dem siebten Sinn die Intuition, manchmal im Sinne von „außersinnlicher Wahrnehmung“ (Psi-Fähigkeiten, Telepathie, Hellsehen, Präkognition). Der siebte Sinn steht auch für die Fähigkeit, Signale aus dem Unterbewusstsein wahrzunehmen, zu erkennen, zu deuten und auch danach zu handeln. Umgangssprachlich wird auch häufig der Begriff der Intuition verwendet.