MEDIZIN

Frauen­gesundheit

 

Die heutige Medizin steht vor der Herausforderung, den vielfältigen, globalen Entwicklungen und dem einzelnen Menschen gerecht werden zu müssen. Oftmals steht leider der Profit im Vordergrund, der noch keinem Menschen zur Heilung verholfen hat. Klar muss auch jeder Mensch auf dieser Welt leben können und unsere Währung ist Geld. Dennoch haben sich die Werte der heilenden Berufe gerade im medizinischen Umfeld stark verändert. Der ethische Anspruch ist im Praxisalltag mit allen komplexen Anforderungen kaum durchzuhalten. Dennoch gilt es, sich immer und immer wieder auf den eigentlichen Kern des Berufs zurückzubesinnen: der Heilung des Menschen auf allen Ebenen seines Seins. Widmen wir uns im Folgenden beispielhaft den Frauen, die in einer männlich dominierten Welt erst seit kurzem mehr ins Bewusstsein der klassischen Medizin gelangen.

Frauengesundheit
Was macht Frauen eigentlich aus? Frauen sind stark und verletzlich zugleich. Frauen sind weich und ausdauernd. Frauen brauchen manchmal mehr Langsamkeit, um in ihre Sinnlichkeit, ins Spüren und in ihre volle Kraft zu kommen. Frauen sind schlau, intelligent und smart. Frauen haben alles im Blick, sind integrierend, umfassend liebend, nährend, heilend. Und: Frauen sind anders als Männer, oder: Frauen haben andere Bedürfnisse als Männer. Hier gibt es keine Wertung. Frauen sind nicht besser, aber auch nicht schlechter, nicht stärker oder schwächer als Männer, nicht empfindlicher. Aber Frauen brauchen eine andere Behandlung als Männer.

Alle Menschen sind gleich
… in ihrer Würde und vor dem Gesetz. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau hat man in Zeiten der Technisierung, des damalig verstandenen Feminismus, zu egalisieren versucht. Eine Frau sollte genauso sein wie ein Mann. Schaut man sich die Schönheits­ideale der 1960er Jahre an, in denen Twiggy der Idealkörper war – androgyn und ohne Kurven –, so ist es heute schon eine gute Entwicklung, dass sich vielerorts für die Diversität und die Natürlichkeit von Frauenkörpern eingesetzt wird. Auch wenn die Medien immer noch einen Idealtyp „schlank, schlau, schön“ präsentieren.

Frauenheilkunde
Auch in der Medizin hat man in der Lehre der klassischen Heilkunde lange den Frauenkörper mit einem Männerkörper gleichgesetzt – was „per naturam“ gar nicht geht. Im 18. Jahrhundert taucht der Begriff „Frauenheilkunde“ das erste Mal auf. Frauenheilkunde meint aber bis heute – immerhin ist das eine eigene fachärztliche Ausbildung – die Lehre von der Entstehung, Erkennung, Behandlung und Verhütung der Erkrankungen des weiblichen Sexual- und Fortpflanzungstraktes, inklusive der Brust. Die Schwangeren- und Geburtshilfe zählen mit in diesen Bereich.

Abwiegeln
Selbst in dem etablierten Medizinbereich der Frauenheilkunde herrscht mancherorts noch kein Klima des Vertrauens. Wie oft werden Beschwerden des Monatszyklus, der Endometriose oder Wechseljahresbeschwerden mit dem Satz abgetan: „Das ist halt so“. Die Betroffenen sind nicht nur wütend, sondern fühlen sich abgekanzelt und nicht ernst genommen. Sie sprechen ihre gesundheitlichen Themen zunehmend nur sehr zurückhaltend an, wenn überhaupt. Sie meinen, das Leiden wäre ein nicht zu ändernder Zustand. Oft schämen sie sich dafür, überhaupt so einen Körper zu haben, der anscheinend nicht perfekt genug funktioniert, doch aber vordergründig gesund ist.

Hinzu kommt, dass das Lautaussprechen „weiblicher Themen“ ein gesellschaftliches Tabu darstellt, diese Themen also eher verschleiert als als selbstverständlich und dazugehörend gesehen werden. Die nahezu aggressive Offenheit mit Sexualität und die gewaltvolle Haltung Frauen gegenüber in den Medien, in der Werbung, im Internet sind dann der Beitrag dazu, dass ein sehr verzerrtes Bild entsteht, was nichts mit Achtsam-  und Natürlichkeit im Umgang mit dem weiblichen Körper zu tun hat.

Gendermedizin für alle
Natürlich gibt es inzwischen den Begriff der „Gendermedizin“, der vor nicht allzu langer Zeit eingeführt wurde. Die Gendermedizin setzt ja genau da an, dass Frauenkörper anders zu behandeln sind als Männerkörper. Gendermedizin (internationale Fachbezeichnung: Gender Medicine, auch Gender-Specific Medicine bzw. Geschlechtsspezifische Medizin) bezeichnet die Humanmedizin unter besonderer Beachtung der biologischen Unterschiede von Mann und Frau. Sie umfasst eine geschlechtsspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten. Und doch ist sie irgendwie noch nicht so richtig in die einzelnen Behandlungszimmer gelangt. Klar gibt es löbliche Ausnahmen. Leider manchmal nur für Privatversicherte oder schwer zu finden.

Frauen sind „anders“, Männer auch
So ist etwa seit längerem bekannt, dass Frauen im Vergleich zu Männern aufgrund einer stärkeren Immunantwort auch stärkere Entzündungsreaktionen aufweisen. Im Zusammenhang damit stehen auch Autoimmunerkrankungen, von denen wiederum Männer prozentual geringer betroffen sind. Registriert bzw. behandelt werden Frauen häufiger als Männer (beispielsweise) wegen psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Männer häufiger wegen Suchterkrankungen, insbesondere Alkoholabhängigkeit.

Unterschiede
Besondere Bedeutung erhielt die Gendermedizin im Zusammenhang von Untersuchungen bezüglich Herzerkrankungen bei Frauen. Dabei wurde festgestellt, dass Patientinnen oft, auch aufgrund anderer Symptomatik, zu spät oder falsch diagnostiziert werden. Bei Männern hingegen wurden bisher psychologische Gesichtspunkte vernachlässigt, etwa in der postoperativen Betreuung bei Prostatakrebs, im Vergleich zum Brustkrebs bei Frauen. Auch das unterschiedliche Gesundheitsbewusstsein, Unterschiede in der Wirksamkeit von Medikamenten (die meisten Medikamente werden in der Regel an jungen Männern erprobt) oder im Suchtverhalten sind Schwerpunkte der Gendermedizin.

Das Recht auf Individualität für Männer und Frauen
Schaut man die Geschichte der Gendermedizin an, so erkennt man, dass dies noch ein sehr junger Bereich der Medizin ist: Sie wurde in den 1990er Jahren entwickelt und ist Teil der personalisierten Medizin. Eine der führenden Vorkämpferinnen ist die amerikanische Kardiologin und Medizinwissenschaftlerin Marianne Legato, die schon in den 1980er Jahren auf Unterschiede bei den oben genannten Herzerkrankungen bei Frauen gegenüber Männern gestoßen war.
Feststeht, dass eine unterschiedliche medizinische Behandlung von Männern und Frauen nicht nur den Frauen Vorteile bringt, sondern auch die Männer in ihrer Individualität berücksichtigt. Und so soll die Medizin sein: zugewandt, individuell und dadurch sehr wirksam.

Individualmedizin
Auch wenn die Gendermedizin noch in den Kinderschuhen steckt, kann sie sich nur weiterentwickeln, wenn die Betroffenen, die Patientinnen, ihre Beschwerden deutlich und klar formulieren und nicht locker lassen, sich um sich zu kümmern und die Behandelnden zu konfrontieren. Wie schön wäre es doch, wenn die ganze Medizin wieder individueller auf den einzelnen Menschen schaut.

Mutmacher
Dieser Beitrag soll insbesondere den Frauen Mut machen, sich mit ihrem Körper bewusst auseinanderzusetzen. Natürlich gilt diese Einladung auch für Männer; Frauen haben jedoch durch die jahrhundertelange Unterdrückung heute immer noch mehr damit zu tun, sich für ihre eigenen Belange mehr einsetzen zu müssen, weil unsere heutige Welt, auch die Medizin, großenteils noch männlich bestimmt ist.

Der Artikel ist auch eine Einladung, den Körper als heiliges Gefäß der Seele wahrzunehmen; die Zeichen des Körpers durch alle Phasen des Frauseins, mit allen Hormon- und anderen Entwicklungen, kennen zu lernen und achtsam mit ihm umzugehen - und für die Bedürfnisse in Sachen „Gesundheit“ gut einzustehen. Wenn der Körper der Frau mit seinem in einem Zyklus empfindsamen Nerven- und Hormonsystem ausgestattet ist, so ist der Begriff „Befindlichkeitsstörung“ oder noch schlimmer „ohne Befund“ schlichtweg ein Ignorieren der individuellen Eigenschaften einer Frau.

Allumfassend geht es um mehr Achtsamkeit im Umgang mit dem menschlichen Körper, der ein Geschenk des Lebens ist: der männliche und der weibliche, beide in ihren wunderbaren Unterschieden.
 


 

Autorin
Sabine Neuhaus
Redakteurin Klösterl-Journal, Coach,
Heilpraktikerin für Psychotherapie (HPG), Yogalehrerin
»Ich habe zum Glück von Kind an ein gutes Gefühl zu meinem Körper, was durch Bewegung entstand: Turnen, dann Mountainbiken und heute Yoga des Tanzens. Ich bin mit Naturheilkunde groß geworden, und dieser Geist trägt mich noch heute, wenn ich Frauen mit meinen Heilinstrumenten in ihre weibliche Kraft führen darf.«