Wer war eigentlich...?

Frédérick Leboyer

1918 – 2017

 

Gynäkologe und Revolutionär
Frédérick Leboyer war Gynäkologe und Revolutionär der Geburtshilfe: Er lenkte die Sicht auf das Kind, was in der Zeit der Technisierung der Krankenhäuser unüblich war. Die Menschen haben lange geglaubt, dass das Neugeborene nichts fühle, kein Bewusstsein habe und weder glücklich noch unglücklich sein könne. Leboyer hat einfach beobachtet, das Neugeborene angeschaut und gelernt.

Das Kind im Blickfeld
Ausschlaggebend für seine tiefen Erkenntnisse und die Revolution der damaligen Denkweise über die Geburt und die Babys war letzendlich der Weg seiner eigenen Psychoanalyse, die ihm jäh eine neue Perspektive eröffnete. Denn: „Geht man in der Psychoanalyse sehr tief, bringt sie einen zurück zur eigenen Geburt.“ Vorher hatte er als Arzt nur Augen für die Frau und ihre Situation, doch als er in der Psychoanalyse die Ängste seiner eigenen Geburt wieder erlebte, rückte das Kind in sein Blickfeld. Auf einmal sah er, wie er sagte, „diese wachen Augen voller Angst“.

Neue Sichtweisen
Lange Jahre war er Frauenarzt und Geburtshelfer in einer Pariser Klinik. Schon früh wandte Leboyer sich von einer Medizin ab, die zunehmend technokratischer wurde und sich damit immer weniger menschlich zeigte. Seine Weisheit bezog er einerseits aus der Begleitung und genauen Beobachtung von insgesamt über 10.000 Geburten und seinen Reisen aus Indien, wo er sich wiederholt längere Zeit aufhielt. Dort bekam er wesentliche Anregungen für eine neue Sichtweise von Geburt und Mutterschaft. Er führte Achtsamkeit, Langsamkeit und vor allem Aufmerksamkeit als wesentliche Elemente der Geburts- und Berührungsarbeit ins Feld.

Sturm und Bewegung
Als Pionier sah er sich in der Ärzteschaft technokratischen Argumentationen gegenüber. Er lud sie ein, es einfach mal auszuprobieren. „Es ist töricht zu argumentieren. Argumentieren hat niemals jemanden überzeugt. Die Skeptiker und Böswilligen am allerwenigsten.“ Leboyer löste in seinen Publikationen und Vorträgen in den 1970er Jahren einen Sturm und dann eine weltweite Bewegung für die „Geburt ohne Gewalt“ aus.
Damals war die Medizintechnologie so stolz auf all diese Geräte, zu denen Leboyer sagte: „Es ist nur wenig nötig, aber vielleicht mögen wir die Einfachheit nicht mehr. Keins von diesen teuren „gadgets“, „monitoring“ und anderen, auf die die Technologie so stolz ist, keins von diesen „Spielzeugen“ für erwachsene Kinder, die heute so große Mode sind. Nichts von alledem. Einfach Geduld und Bescheidenheit. Stille. Leichte, aber ununterbrochene Aufmerksamkeit. Ein bisschen Einsicht und Rücksichtnahme auf andere. Selbstvergessen. Ach, und trotzdem... ich hätte es bald vergessen. Liebe ist nötig. Ohne Liebe ist man höchstens geschickt. … Das Kind lässt sich (von Technologie und perfekten Methoden) nicht täuschen. Sein Urteil über euch ist von einer wunderbaren, schrecklichen Sicherheit. Es weiß alles. Es merkt alles.“, so Leboyer.

Babymassage – die Leboyer-Massage
Auch die Babymassage, die er in Indien kennenlernte, brachte er in unsere westliche Welt. Hier sind neben der Nacktheit des Babys und der Anwendung von einfachem Öl die kräftige, klare, langsame Berührung  sowie die ungeteilte Aufmerksamkeit die wichtigsten Instrumente, um das Baby seinen Bedürfnissen entsprechend auf dieser Welt willkommen zu heißen.

Für mehr Menschlichkeit
Bis heute wirken Leboyers Erkenntnisse in die Hausgeburtsarbeit, in die Geburtskliniken und -häuser hinein. Es ist selbstverständlich geworden, achtsam auf das Kind zu schauen, und sogar Unikliniken haben Leboyers menschliche Methoden zum größten Teil integriert. Aber nicht nur für Neugeborene ist sein Ansatz ein wertvoller Beitrag. Auch Erwachsene kommen heute immer mehr zu der Erkenntnis, dass in einer hochtechnisierten und technologischen Welt Berührung, Achtsamkeit und die absolute Aufmerksamkeit, mit der wir Dinge tun und die wir unserem Gegenüber schenken, heilsam, gesunderhaltend und schön ist – und das nicht nur im therapeutischen Kontext wie mit Berührungstherapie, Heilmassagen, bodywork oder Yogatherapie, sondern auch überhaupt im menschlichen Sein.