LEBENSZYKLEN
Baby & Bonding
„Ist es nicht zauberhaft süß,
dieses kleine Wunder Mensch?
Diese kleinen Hände und Füße.
Die Haut noch zart und sanft.
Und wie es riecht, dieses süße Baby...!
Und schau mal die Augen...
oh, jetzt schläft es...“
Die Natur ist weise. Sie hat es so eingerichtet, dass das Kindchen-Schema sofort funktioniert: Wir möchten dieses kleine Wunderwesen beschützen, halten, am liebsten immer ganz nah an unserem Körper tragen. Und das ist gut so, sonst würden diese kleinen, komplett von den Erwachsenen abhängigen Babys nicht überleben. Dadurch, dass diese kleinen Wesen so „süß“ sind, sind wir gerne bereit, uns ständig – und das heißt wirklich immer, Tag und Nacht – um sie zu kümmern.
Empfinden
Über dieses Kümmern wird die so sehr wichtige Bindung zum Kind und somit das Urvertrauen zu Personen und ins Leben aufgebaut. Meinte man noch vor nicht allzu langer Zeit, diese kleinen Menschen hätten keine Empfindungen, weiß man heute: Das Gegenteil ist der Fall. Diese kleinen Babys sind hoch-empfindsam.
Auch die Fontanelle ist noch nicht geschlossen, das bedeutet, das Köpfchen und somit das Gehirn muss noch vor allzu vielen Sinneseindrücken, Krach, Lärm und visuellen Reizen geschützt werden, weil das Baby noch nicht in der Lage ist, dies alles mit seinem kleinen Nervensystem zu verarbeiten.
Ankommen
Nicht umsonst raten Hebammen eher zu acht als sechs Wochen Wochenbett, und „-bett“ heißt auch Bett. Das ist einerseits eine Erholungsphase für die Mutter nach der Geburt, die kräftemäßig einer Himalayabesteigung gleicht; andererseits ist es für das Baby von entscheidender Bedeutung, zuhause, geschützt und in Ruhe zu sein – für eine gesunde Hirnentwicklung und ein gutes Ankommen.
Bonding
Ja, die ersten Wochen sind die Zeit des Ankommens. Ankommen heißt, aus dem schützenden Mutterleib mit Rundumversorgung über die Nabelschnur, aus einem behaglich geschützten Raum names Fruchtblase herauszukommen. Es bedeutet, selbst zu atmen, sich an ein anderes Element, nämlich „Luft“ anstatt „Wasser“, zu gewöhnen, und die Nahrung nicht automatisch die ganze Zeit zu bekommen, sondern sich dafür melden zu müssen und auch selbst zu saugen und die Nahrung aufzunehmen. Dazu kommt, dass der Magen-Darm-Trakt aktiviert wird. Und das alleine ist schon ein enormer Prozess.
Das Kernthema der ersten Lebensphase ist „Bonding“, also Bindung, Urvertrauen und Entspanntsein in diesem neuen Zustand des Seins aufzubauen. Die Forscher sind sich einig, dass Körperkontakt genauso wichtig ist wie das umgehende Stillen der frühkindlichen Bedürfnisse wie Hunger und Durst sowie ausreichend Schlaf und ein harmonisches, ruhiges Ambiente.
Bedürfnisse sofort befriedigen
Schreien lassen, egal ob in der Nacht oder am Tag, ist also ein absolutes „No-Go“, auch wenn diese erste Zeit mit wenig Schlaf einhergeht und man sich selbst nichts mehr als ausreichend Schlaf wünscht. Da mangelnder Schlaf sehr große Auswirkungen auf Wohlbefinden und Nervensystem hat, greift so mancher zur Ratgeber-Literatur. Die Hintergründe zu bestimmten „Schlaf-Lern-Techniken“ nicht wissend, ist es oft nicht hilfreich, sich dieser Techniken zu bedienen. Denn manche Herangehensweise ist für Eltern entwicklet worden, die nahe an der Gewalt sind. Da ist es natürlich sinnvoll, einen Abstand zum Kind zu nutzen, bevor es geschlagen oder misshandelt wird.
Für alle anderen gilt: Das Baby braucht den direkten Kontakt zu seinen Eltern, wenn es schreit. Denn es schreit nicht grundlos. Nährende Wärme und die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung führen zu Bindungsfähigkeit, Schlauheit und Sicherheit für das ganze Leben.
Harmonie?
Und natürlich ist Elternsein anstrengend, auch wenn die Werbeindustrie gerade diese erste Phase des menschlichen Lebens als süßlich, glücklich und harmonisch darstellt. Die Realität ist: Alle Familienmitglieder müssen gerade beim ersten Kind in ihre Rollen hineinwachsen. Das braucht Zeit, viel Liebe und Achtsamkeit. Bei wenig Schlaf kann einem das schon mal abhanden kommen. Deswegen ist es wichtig, sich selbst gut zu versorgen und frühzeitig ein Netzwerk zu schaffen. Mit anderen Eltern z.B. zusammen kochen, die Kinder spazieren tragen oder -fahren – sich mit dem Partner abwechseln, so dass jeder mal entspannen und durchschnaufen kann. Und die Familie, Tanten, Onkel oder andere der Familie nahestehenden Personen einbinden. Und was wären die Familien ohne die Opas und Omas, die mit viel Liebe und Erfahrung das neue Familienglück unterstützen, damit es glücklich bleibt?
Aber nicht jeder hat das Glück eines Familiennetzwerks. Dankenswerterweise gibt es viele Angebote wie Rückbildung, PEKIP (Prager Eltern-Kind-Programm), Babymassage-Kurse (nach Leboyer), Babyschwimmen, Krabbelgruppen, die sowohl den Babybedürfnissen entsprechen, aber auch ein Vernetzen der Mütter und Väter unterstützen. Aber Achtung: Bei der Menge an Angeboten kann das kleine Wesen schnell überfrachtet sein. Viele Eltern machen viel zu viel.
Rollen verteilen
Gerade in den ersten Wochen heißt es für die Eltern, daheim zu bleiben, ein sanftes und ruhiges Ankommen zu ermöglichen und die Sinneseindrücke für das Baby auf ein Minimum zu reduzieren. Den Besuch der Verwandten mit Bedacht wählen, keine laute Musik oder Dauerbeschallung, Ruhe beim Stillen, nicht noch schnell das Baby ins Auto verfrachten und zum schwedischen Möbelhaus düsen, um das Babyzimmer einzurichten.
Ein guter Tipp für die Verteilung der Aufgaben: Im Wochenbett ist der Mann der „Außenminister“ und erledigt alle Aufgaben „draußen“, die Mutter kümmert sich „drinnen“ mit Stillen um das Baby. Wickeln, baden, (in den Schlaf) wiegen, mit dem Baby kuscheln – das alles können sich die Eltern auch in der Zeit des Wochenbetts sehr gut aufteilen.
Ist das Wochenbett vorbei und die Mutter wieder gekräftigt, ist es eine wahre Freude zu sehen, wie die Eltern unserer Zeit die neuen Aufgaben, ein Baby zu versorgen, wirklich zusammen wahrnehmen.
Körperkontakt
Die Mutter hat das Glück, dass sie die Bindung zum Baby sehr leicht aufbauen kann. Denn durch das Füttern mit der Brust werden mehrere essenzielle Bedürfnisse des Babys natürlicherweise gleichzeitig gestillt: Nahrung, Körperkontakt, Nähe, Augenkontakt, Ruhe, Körperwärme – Nicht-Getrenntsein von der Mutter – das Baby muss sich ja sowieso auf seine neuen Lebensumstände des Nicht-mehr-im-Bauch-Seins einstellen. Der Vater oder andere Bezugspersonen können diese Bindung genauso aufbauen, allein Stillen können sie nicht. Wichtig ist: Für ein Baby kann es nicht genug „Bonding“ geben, ob nun mit Stillen oder ohne Stillen. Natürlich gibt es für Frauen, die nicht stillen können, viele Möglichkeiten, eine ebenso gute Bindung aufzubauen. Der Körperkontakt kann z.B. mit regelmäßiger Babymassage hergestellt werden, durch Kuscheln oder am Körper tragen. Man kann ein Baby nicht verwöhnen. Das einzige, was „passieren“ kann, sind in sich ruhende, selbstbewusste, ausgeglichene und intelligente Menschen.
Stillen
Stillen ist das natürlichste der Welt und heutzutage auch in der Öffentlichkeit zum Glück nicht mehr anrüchig; sogar in den USA kommen die Menschen langsam zu dieser Einsicht. Hat man vor einigen Jahrzehnten mit der Technisierung der Welt die Trennnung von Mutter und Kind als normal angesehen, weiß man heute, dass die Naturvölker es richtig machen und das Baby so nah wie möglich bei sich tragen, stillen, den natürlichen Impulsen folgen: Wenn das Kind schreit, nimmt man es auf den Arm, am besten trägt man es sowieso immer dicht am Körper, singt ihm sanfte Lieder und wiegt es dabei, um es zu beruhigen oder beim Einschlafen zu helfen. Gut ist, das Kind nah bei den Eltern oder in der Gemeinschaft schlafen zu lassen, nicht wie propagiert wird, irgendwo steril in seinem eigenen Bettchen. Babys brauchen es kuschelig, sie brauchen Schutz und Geborgenheit. Das alles wird im Körpergedächtnis und auch im Gehirn abgespeichert als sichere Erfahrung und trägt die Menschen durch das ganze Leben.
STUDIE
Zusammenhang von
Bonding und IQ
Die 2017 veröffentlichte Studie „Twenty-year Follow-up of Kangaroo Mother Care Versus Traditional Care“ besagt, dass die körperliche Nähe zwischen Mama und Kind am Anfang ihres gemeinsamen Lebens einen grundlegenden Einfluss auf den IQ sowie das Sozialverhalten des Kindes hat. Laut der Studie zeigten die jungen Erwachsenen, die im Babyalter mit viel mütterlichem Hautkontakt verwöhnt wurden, unter anderem weniger Verhaltensstörungen. Sie waren außerdem weniger aggressiv und hyperaktiv als ihre Altersgenossen, die als Babys wenig oder gar nicht Haut an Haut mit ihrer Mama liegen durften.