MIKROBIOM
Die Wiege der Gesundheit
Nach neun Monaten in der vollkommen sterilen Umgebung der Fruchtblase kommt ein Säugling auf die Welt. Ein durch einen Kaiserschnitt entbundenes Baby wird unmittelbar danach mit der mütterlichen Vaginalflora eingerieben. Wozu? Bei einer natürlichen Geburt kommt das Baby zum ersten Mal mit Keimen der vaginalen und fäkalen Flora der Mutter in Berührung, wenn es sich durch den Geburtskanal schiebt. Dieser Kontakt fehlt beim Kaiserschnitt. Durch diesen oben beschriebenen Mikrobiom-Transfer wird dem Säugling die gleiche Besiedelung an Mikroorganismen wie bei einer Spontan-Geburt ermöglicht, um weniger anfällig gegenüber Krankheiten zu sein.
Das Mikrobiom
Unter Mikrobiom versteht man die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroorganismen. Dazu gehören Bakterien, Viren und Pilze. Bakterien sind mit über 100 Billionen verschiedenster Keime am stärksten vertreten. Ein erwachsener Mensch besitzt im Vergleich „nur“ ca. 30 Billionen Körperzellen. Der Anteil von Viren und Pilzen am Mikrobiom liegt unter 2%.
Das Mikrobiom beeinflusst das Immunsystem, den Stoffwechsel und das Hormonsystem. Das physiologische Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Mikroorganismen, die Eubiose, spielt eine wichtige Rolle im Zusammenhang von Gesundheit und Krankheit.
Sowohl in Vagina, Nase, Rachen und Darm, als auch auf der Haut des Menschen finden wir Mikroorganismen, die als separate Mikrobiome betrachtet werden.
Das Mikrobiom des Darms
Der Mensch lebt mit den Mikroorganismen in Symbiose. Er bietet als Wirt diesen Keimen Lebensraum und Nahrung. Die Keime greifen im Gegenzug positiv in Stoffwechselprozesse ein. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktion werden die Mikroorganismen im Darm (lat.: Intestinum) in zwei unterschiedliche Mikrobiome eingeteilt:
Luminales Mikrobiom:
Die Mikroorganismen im Innern des Darms, dem Darmlumen, verarbeiten die Ballaststoffe aus der Nahrung, die nicht resorbiert werden können. Aus den daraus gewonnenen Fettsäuren wird die Darmschleimhaut ernährt. Vitamin K, B12 und Folsäure werden durch das Mikrobiom dort gebildet.
Bei der Darmentleerung macht das Mikrobiom 50% des Stuhlgewichts aus. Durch die laufende Erneuerung des mikrobiellen Milieus kann die Anzahl und die Vielfalt dieser Keime sehr variieren und ist abhängig von Ernährung, Diät, Arzneimitteln, Krankheit, Stress, etc..
Mucosa-assoziiertes Mikrobiom:
Die Darmschleimhaut ist der Grenzübergang zwischen der Umwelt und dem menschlichen Organismus. Sie besitzt eine sehr große Oberfläche und dient der Resorption von Nährstoffen. Das Mucosa-assoziierte Mikrobiom in der Darmschleimhaut übernimmt den Schutz vor Besiedelung mit Krankheitserregern und ist ein sehr wichtiger Teil des Immunsystems. Die Zusammensetzung dieses Mikrobioms ist sehr stabil und verändert sich über die Zeit kaum. Eine Störung dieser Eubiose, Dysbiose genannt, ruft Immun- und Stoffwechselerkrankungen hervor.
In den ersten 6 bis 12 Monaten eines Säuglings wird das Schleimhaut-assoziierte Mikrobiom durch das elterliche Umfeld geprägt und wie folgt aufgebaut:
Postnatale Bildung des Mucosa-assozierten
Mikrobioms
Phase 1:
In den ersten 14 Tagen nach der Geburt findet die Erstbesiedelung des Darms statt. Laktobazillen und Bifidobakterien, die während der natürlichen Geburt aus der Vaginalflora der Mutter über den Mund aufgenommen werden, ermöglichen die Implantation der ersten Keime in den Dünn- und Dickdarm. Diese schaffen durch Produktion von Milchsäure ein saures Milieu, in dem pathogene Keime nicht bestehen können. Das Colostrum, die Erstmilch der Mutter, ist reich an Immunglobulinen, die das Immunsystem des Säuglings unterstützen. Über Lymphozyten-Reaktion mit Mikoorganismen lernt der kindliche Organismus bestimmte Mikroorganismen zu tolerieren und entwickelt eine Immuntoleranz.
Da sich die Muttermilch aus anderen Bakterienkulturen zusammensetzt als die Ersatznahrung, ist die Erstbesiedelung des Mikrobioms je nach Ernährung des Säuglings unterschiedlich.
Phase 2:
Die nun etablierte Flora stabilisiert sich. Durch den täglichen, engen Kontakt mit Eltern und Geschwistern setzt sich der Säugling mit dem stabilen und unverwechselbaren Mikrobiom seiner Familie auseinander und erweitert so sein eigenes Mikrobiom.
Phase 3:
Mit der Zufütterung nach 4 bis 6 Monaten beginnt eine kritische Phase, da die Nahrung nun schwer verdauliche Ballaststoffe enthält, die Nährsubstrat für Fäulnisbakterien wie Escherichia Coli und Enterokokken sind. Die aus den Ballaststoffen gebildeten Darmgase lösen Blähungen und Koliken aus und sind Grund für den Anstieg des pH-Werts im Darm. Folge ist eine Verschiebung der mikrobiellen Zusammensetzung (Dysbiose). Die fehlenden Immunglobuline der Muttermilch und das noch nicht komplett ausgebildete Immunsystem schützen den kindlichen Organismus bei Erstkontakt mit potentiell pathogenen Keimen nicht mehr ausreichend. Das Schleimhaut-assoziierte Immunsystem kann geschädigt werden, was zu schweren Erkrankungen führen kann, u. a. Allergien, Neurodermitis und Nahrungsmittelunverträglichkeiten.
Gesunde Balance
Nach etwa zwei Jahren hat eine stabile Zusammensetzung des Mikrobioms den Darm besiedelt. Sie ist hochindividuell wie ein Fingerabdruck. Im Dünndarm entsteht durch die Vergärung von Kohlenhydraten mit Laktobazillen ein saures Milieu, das verhindert, dass Enterokokken aus dem Dickdarm nach oben steigen. Eine geringe Konzentration ist dennoch nachweisbar. Im Dickdarm finden wir die größte Artenvielfalt an Bakterien: Bifidobakterien, Eubakterien und Bacteroides sorgen für die Ansäuerung des Dickdarm-Lumens und halten damit die Konzentration an Fäulnisbakterien (Enterokokken und E. Coli) bei ca. 1% der Gesamtflora.
Weit über den Wirkort Darm hinaus hat eine Verschiebung der mikrobiellen Zusammensetzung Auswirkung auf die Gesundheit im ganzen Körper. Immer mehr Krankheiten werden mit einer intestinalen Dysbiose in Verbindung gebracht, wie Morbus Crohn, Krebs, Diabetes, aber auch Depressionen. Die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflusst sowohl Wirkung als auch Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Noch ist unklar, ob die Veränderung des Mikrobioms Ursache oder Folge einer Krankheit ist. Feststeht jedoch, dass eine hohe Diversität an Keimen den Schutz vor Krankheiten begünstigt.
Das „elterliche Mikrobiom“, das erste Geschenk von Vater und Mutter an ihr Kind, ist ein wichtiger Grundstein für ein gesundes Leben von Anfang an. Durch weitere Bausteine, wie ballaststoffreiche Ernährung und einen ausgewogenen Lebensstil, kann der Darm mit einer Vielzahl und Vielfalt an Mitbewohnern zu einem starken Organ des Immunsystems aufgebaut werden.