Lebenszyklen

Sturm, Drang und Veränderung

 

Was ist die Jugend? Diese Frage zu beantworten ist gar nicht so einfach. Die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter ist geprägt von intensiven Erfahrungen und Veränderungen, die die jungen Menschen weiter in die Gesellschaft hineintragen.

Wann ist man ein Jugendlicher?
Biologisch gesehen beginnt die Jugend mit der Geschlechtsreife, welche bei jedem aber sehr individuell einsetzt und verläuft. Rechtlich wird diese Lebensphase ab 14 mit der Strafmündigkeit begonnen und gilt bis zum 18. Lebensjahr. Allgemeinhin schließt man in die Definition von „Jugend“ aber auch schon Heranwachsende ab 12 Jahren ein. Lange Bildungswege, der spätere Eintritt in ein festes Erwerbsverhältnis sowie die hinausgeschobene Familiengründung haben dazu geführt, dass in den letzten Jahren die Phase der Jugend auch noch Personen bis 29, 30 oder gar bis 35 Jahren in die Definition einschließt. Die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter sind inzwischen fließend und besonders die Jugendzeit hat sich sehr verlängert.

Ein junges Konzept
Die Jugend als eigene Lebensphase ist ein erstaunlich junges Konzept. Der Begriff ist erst seit dem 19. Jahrhundert überliefert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts manifestierte sich der Jugendbegriff vor allem in den zahlreichen Jugendbewegungen. Langsam entwickelte sich die Jugend dann zu einer eigenen Lebensphase mit spezifischen Merkmalen. Das lag auch am Wandel der Berufs- und Bildungslandschaft.
In der Agrargesellschaft bekamen junge Menschen von ihren Eltern alles Nötige für ein meist bescheidenes Leben auf dem Bauernhof beigebracht. Während der Industrialisierung weiteten sich aber die Berufsmöglichkeiten aus und machten in der Folge eine längere und außerhäusliche Bildung nötig. Eine kontinuierliche Verlängerung der Bildungswege trug zur weiteren Unabhängigkeit der jungen Generationen bei. Das Konzept der Jugend als eigenständiger Lebensabschnitt entwickelte sich also vor allem aufgrund der Notwendigkeit von mehr Bildung.

Zeiten des Umbruchs
Die Jugendphase ist eine Zeit des Wandels. Der Körper verändert sich und langsam verlagert sich der emotionale und soziale Aktionsschwerpunkt von der Kernfamilie nach außen, in die Peer-Group. Die Freunde werden Ratgeber und Vorbild. Die vielen Veränderungen in diesen Jahren rufen oft auch Verunsicherung und Ängste hervor, unter denen Jugendliche sehr leiden können. Mobbing via Social Media, die Angst, in der Gruppe nicht dazuzugehören und der Druck durch Schönheitsideale tun ihr Übriges. Dazu kommen existenzielle Fragen: Wer bin ich, wer will ich sein, wohin will ich in meinem Leben?

Integration in die Erwachsenenwelt
In der Jugend entwickeln die Heranwachsenden auch ihre eigenen Werte. Sie kommen mit einem unverstellten Blick in die Gesellschaft und beginnen, abstrakter und zusammenhängender zu denken. Sie nehmen ganz genau wahr, wie die Erwachsenen ihr (Zusammen-) Leben gestalten und welche gesellschaftlichen Problematiken es gibt.
Man darf nicht vergessen, dass jede Generation von Jugendlichen in einem ganz individuellen Umfeld groß wird, das sich von dem der nächsten schon wieder unterscheidet. So wuchs meine ältere Schwester noch in einem geteilten Deutschland des Kalten Krieges auf. Für mich war die Einheit bereits selbstverständlich. Der 11. September 2001, die darauf folgenden Konflikte sowie die Finanzkrise prägten die öffentlichen Debatten in meiner Jugend. Das ist schon Geschichtsbuchstoff für meinen jüngeren Bruder. Er wuchs mit Smartphones und dem Internet auf. Der Klimawandel und Flüchtlingsdebatten füllen heute die Schlagzeilen der Zeitungen.
Die Problematiken ihres jeweiligen Umfelds nehmen Jugendliche oft sehr akribisch wahr: Sie stoßen sich daran, äußern ihre Bedenken sehr direkt und zwingen die Gesellschaft so dazu, Stellung zu beziehen. Die Erwachsenen nehmen das als Rebellion wahr, dabei definieren die Jugendlichen damit ihren ganz eigenen Wertekanon. In der Tat ist es aber auch das, was die Entwicklungen und Veränderungen in unserer Gesellschaft wie ein Motor vorantreibt und hilft, Neues zu verankern. So stellt die Jugend sicher, die Zukunft, in der sie leben werden, aktiv und nachhaltig mitzugestalten. Hätten Erwachsene die neuen Technologien wirklich so schnell angenommen, wenn die Jugend dem nicht sofort so aufgeschlossen gewesen wäre? Ist es nicht gerade auch die Jugend, die den Erwachsenen mit den Fridays-for-Future-Demonstrationen den Spiegel vorhält, dass wir nicht genug für unseren Planeten tun?
Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Integration der Jugendlichen in die Erwachsenenwelt ist es noch verständlicher, warum jede Jugendgeneration komplett eigenständig zu betrachten ist. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man das nächste Mal, im Eifer des Gefechts, den Heranwachsenden seine eigene Jugendbiographie vorhält: „Als ich in deinem Alter war...“ ist schnell gesagt, geht aber an der Realität der Jugendgeneration ebenso schnell mal komplett vorbei.

Die Jugend von heute...
Eines ist – in all der Veränderung – schon seit jeher konstant: Das Klagen der Alten über „die Jugend“. Sokrates tat dies schon um 400 v. Chr., ebenso sein Schüler Platon, als er der Jugend entwachsen war, und danach dessen Zögling, Aristoteles. Es scheint, als betrachte jede Generation von Erwachsenen die Jugend als etwas Schlechtes und Bedrohliches.
Dahinter stehen Angst vor Veränderung und Ungewissheit. Wird die Jugend in ihrem Übereifer das zerstören, was meine Generation aufgebaut hat? Zu wissen, woher diese Gefühle kommen, ist beruhigend: Jede Jugend erschafft sich eine eigene Realität, nur so kommen wir als gesamte Gesellschaft voran und verhindern Stillstand. Die Sturm-und-Drang-Jugendlichen werden irgendwann die Erwachsenen der Gesellschaft stellen und dann wiederum von der nächsten Jugendgeneration infrage gestellt. Es ist ein ewiger und bereits sehr alter Kreislauf.

Auftrag an die Erwachsenen und Eltern
Als Eltern begleiten wir die jungen Menschen auf dem Weg des Erwachsenwerdens. Wichtig ist in dieser abenteuerlichen Zeit, für die Heranwachsenden da zu sein, auf momentane Zurückweisung mit Verständnis und der nötigen emotionalen Distanz zu antworten, das heißt, diese nicht persönlich zu nehmen. Der Jugendliche braucht einfach etwas mehr Zeit für sich. Gleichzeitig ist es wichtig, für Fragen, Ängste, Zweifel und Sorgen weiterhin ein offener, verständnisvoller und immer erreichbarer Ansprechpartner zu bleiben. Konflikte auszuhalten ist nicht leicht. Versachlicht man die Gründe für dieses Verhalten – der Umbau des Gehirns, Abnabelungsprozesse von den Eltern, Neuerungen und Veränderungen als normale Umwälzungsprozesse in unserer Gesellschaft – nimmt man ihnen so den Schrecken und transformiert sie in eine etwas einfacher zu akzeptierende Aufgabe. ƒ

 

Im nächsten Klösterl-Journal lesen Sie in unserer Serie „Lebenszyklen“ über die Lebensphase der Kinder.

Autorin
Anita Schedler
Marketing Manager und Redakteurin Klösterl-Journal

»Während meiner Studienzeit rief mein 13-jähriger Nachhilfeschüler einmal: „Studenten, die haben doch Weltwissen!“ Ich musste schmunzeln. Aber er sah in den fast 10 Jahre älteren, jungen Erwachsenen schon Menschen, die etwas von der Welt kannten und vor allem wussten, wohin sie selbst wollten. Die Unsicherheit mit 13, in der man all das noch nicht weiß, ist sehr symptomatisch für die Jugendphase, eine Zeit der generellen Unsicherheiten.«