SERIE „SINNE“
Der Mund
Was ist Ihr Lieblingsessen? Jeder Mensch hat darauf wohl eine ganz einzigartige Antwort. Die Kässpatzen von Oma oder ein knuspriges, noch warmes Baguette aus einer Pariser Boulangerie? Unser Geschmacksempfinden ist geprägt von persönlichen Erinnerungen, einer Portion Nostalgie und Tradition. Aber auch Gene spielen eine wichtige Rolle. Unser Geschmackssinn ist daher so individuell wie wir Menschen. Bisher jedoch steht die Forschung über dieses kleine Wunderwerk der Natur noch ziemlich am Anfang.
Der Mund – ein vielseitiger Allrounder
Mit dem Mund nehmen Nahrung auf, atmen, sprechen und küssen wir. Die Lippen sind eine sehr ausdrucksstarke Partie in unserem Gesicht, sie tragen als ein nonverbales Mittel der Kommunikation wesentlich zu unserer Mimik bei. Mit der Zunge wiederum wird die Sprache geformt, als kräftiger Muskel ertastet sie die Nahrung und lenkt sie zu den Zähnen. Dort wird das Essen zerkleinert und mit dem Speichel vermischt. Die dort enthaltenen Enzyme spalten die in der Nahrung befindliche pflanzliche Stärke. Der Verdauungsprozess beginnt also bereits im Mund, darum zählt dieser anatomisch auch zu den Verdauungsorganen. Neben den Enzymen enthält der Speichel aber auch eine unendliche Vielzahl von Mikroben, die zusammen die Mundflora bilden.
Wie Geschmack entsteht
Doch viel wichtiger für die meisten Menschen ist während des Essens der Genuss. Dieser wird maßgeblich von dem Geschmackserlebnis bestimmt. An der Zunge, dem Gaumen und dem Kehldeckel befinden sich die Geschmacksknospen. Jede besteht aus rund 100 Zellen. Diese Geschmacksrezeptorzellen reagieren mit der Nahrungsaufnahme auf die fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter und umami. „Umami“ ist Japanisch und bedeutet in etwa „köstlich“. Ihn haben Forscher erst vor kurzem entdeckt. Er steht für einen herzhaft-würzigen Geschmack, der auf proteinhaltige Lebensmittel hinweist, wie zum Beispiel Fleisch und Käse oder aber auch die Aminosäure Glutamat, die auch als wohl gesundheitsschädlicher Geschmacksverstärker in vielen Lebensmitteln enthalten ist.
Sobald die Rezeptorzellen also Geschmack registriert haben, laufen biochemische Prozesse ab, die dann einen Geschmacksreiz als elektrischen Impuls über die Nervenbahnen an die Großhirnrinde senden. Dies ist die äußere, an Nervenzellen reiche Schicht des Großhirns. Die Nervenzellen analysieren anschließend diesen Impuls, indem freigesetzte Botenstoffe Erregungsmuster hervorrufen, die letztlich bestimmen wie wir einen Geschmack bewerten. Bei dem Verzehr von Schokolade beispielsweise wird der Botenstoff Endorphin freigesetzt, der ein Glücksgefühl in uns auslöst.
Ein sinnliches Gesamtkunstwerk
Für ein umfassendes Geschmackserlebnis ist aber nicht nur der Mund zuständig. Die Nase, beziehungsweise der Geruchssinn, bestimmt nämlich 80 Prozent der Geschmackserfahrung. Über den Rachen gelangen beim Essen Aromamoleküle in die Nase. Hier reagieren die Geruchsrezeptoren, der Essende riecht die Speise besser und intensiviert so auch den Geschmack. Der Geruch einer leckeren Speise löst ergänzend die Speichel- und Magensaftproduktion aus – uns läuft also wortwörtlich schon einmal das Wasser im Mund zusammen. Der Tastsinn, die Temperatur und der Schärfegrad der Speisen sind ebenso ausschlaggebend für das Esserlebnis. Sogar Geräusche beeinflussen, wie wir Speisen empfinden. Das Knacken von Chips macht geradezu süchtig. Und nicht zuletzt isst auch das Auge mit, weiß schon der Volksmund. Erwiesenermaßen schmeckt Erdbeermus von weißen Tellern süßer als von dunklen. Essen bezieht wie ein Gesamtkunstwerk alle unsere Sinne mit ein.
BotenkundeDie einzelnen Geschmacksrichtungen vermitteln dem Körper unterschiedliche Botschaften:
- Süß: steht für Zucker, direkte Energie und für Gefahrlosigkeit – es gibt in der Natur nichts, das süß und giftig ist. Süßes schmeckt uns auch deswegen so gut, damit wir weiter gerne essen und so nicht verhungern
- Salzig: Hier gibt es Mineralien, sie sind in geringen Mengen wichtig für den Stoffwechsel, zu viel ist aber schädlich
- Sauer: regt die Speichelproduktion an, bedeutet Vorsicht beim Verzehr, da es sich beispielsweise um schlechte Milch handeln könnte
- Bitter: steht für Giftstoffe, deswegen fällt es uns so schwer, bittere Medizin einzunehmen. Einzelne Bitterstoffe, wie beispielsweise Extrakte aus den Artischokenblättern, können aber gut für zum Beispiel die Verdauung sein
- Umami: bedeutet dem Körper, dass es Proteine gibt
Geschmack ist individuell
Vielfalt ist das Stichwort, wenn es um die vielen Vorlieben und Abneigungen geht. Jeder Mensch hat einen eigenen, individuellen Geschmack. Das liegt daran, dass dieser wohl von rund 50 Genen gesteuert wird, deren jeweilige Aktivierung aber Veranlagung ist. So gibt es Menschen, die einen bestimmten Bitterstoff nicht schmecken können und somit weniger Probleme mit bitteren Lebensmitteln haben. Ähnlich verhält es sich mit fetthaltiger Nahrung. Andere Theorien gehen zudem davon aus, dass es auch der eigene Kulturkreis und Erfahrungen sowie vorgeburtliche und frühkindliche Prägung eine Rolle spielen. Über das Fruchtwasser und später sogar noch intensiver über die Muttermilch werden Aromastoffe weitergegeben, die das Geschmacksempfinden des Kindes beeinflussen können. Im Monell Chemical Senses Center in Philadelphia ließ die US-Forscherin Julie Mennella Mütter in den letzten Wochen der Schwangerschaft Karottensaft trinken. Deren Kinder mochten später Brei mit Karottengeschmack lieber als Kinder einer Vergleichsgruppe, deren Mütter keinen Karottensaft getrunken hatten.
Ein sechster Geschmackssinn?
Der Geschmack des Menschen ist erst seit einer relativ kurzen Zeit Gegenstand der Forschung, dementsprechend gibt es noch viele offene Fragen. Seit einigen Jahren hält sich die These, dass „fett“ ein eigener Geschmackssinn ist. 2011 entdeckte Wolfgang Meyerhof vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung spezifische Rezeptoren auf der Zunge, die nur auf Fettsäuren reagieren. Damit schuf er die Grundlage für weitere Forschungen. Auch in einer US-amerikanischen Studie konnten Probanden in einer Versuchsanordnung „fett“ als eigene Geschmacksrichtung ausmachen. Vor einigen Jahren wies Meyerhof schließlich nach, dass es in den Speicheldrüsen unserer Zunge Fett spaltende Enzyme gibt. Bisher handelt es sich bei der Frage nach dem sechsten Geschmackssinn „fett“ jedoch noch um eine Theorie, die weiterer Klärung durch die Wissenschaft bedarf.
Der Geschmack verändert sich
Unser Geschmack setzt sich aus einem ganz persönlichen Gemisch aus Erfahrungen, Vererbung und Traditionen zusammen und ist daher so individuell und vielfältig wie wir Menschen selbst. Der Geschmackssinn verändert sich aber auch im Laufe unseres Lebens. Ein Säugling hat rund 10.000 Geschmacksknospen, bei einem Jugendlichen sind es noch etwa 9.000. Um einem Kind übrigens ein Gericht oder Lebensmittel schmackhaft zu machen, sollten Eltern es dem Kind rund achtmal anbieten und probieren lassen. Geschmack ist nämlich auch Gewohnheit.
Geschmacksknospen sind extrem kurzlebig, sie erneuern sich in der Regel alle zehn Tage. Bei erwachsenen oder älteren Menschen verlangsamen sich diese Erneuerungsprozesse und so besitzen sie nur noch zirka 2.000 bis 5.000 Geschmacksknospen. Dadurch verringert sich die Fähigkeit zur Geschmacksempfindlichkeit, was unter Umständen zu Appetitlosigkeit und Mangelerscheinungen führen kann.
Mit allen Sinnen wahrnehmen
Delfine übrigens verschlingen ihre Beute am Stück, sie kauen sie nicht. Deswegen haben sie im Laufe der Evolution ihren Geschmackssinn fast vollständig verloren. Schmecken ist nämlich ein aktiver Prozess, der Mensch beißt, kaut, schluckt – dabei werden die Aromen freigesetzt, die wir als Geschmack wahrnehmen. Leider nehmen wir uns in unserer schnelllebigen Umwelt oft viel zu wenig Zeit für unser Essen und erlauben damit auch unseren Sinnen nicht, sich zu entfalten. Um dem entgegenzusteuern und unsere Sinne wieder einmal bewusst wahrzunehmen, kann man eine kleine Achtsamkeitsübung in den Alltag einbauen. Nehmen Sie sich eine Nuss oder eine Rosine und versuchen Sie, sie mit allen Sinnen wahrzunehmen, als hätten Sie sie noch nie gesehen. Wie sieht sie genau aus? Wie riecht sie? Wie fühlt es sich an? Welche Erinnerungen und Assoziationen ruft das in Ihnen hervor? Und letztlich, wie schmeckt sie, wie fühlt sie sich im Mund an? Die kleine Übung hilft nicht nur, die Sinne wieder zu schärfen, sondern ein wenig die Geschwindigkeit herauszunehmen und in der eigenen Ruhe anzukommen. Nur so können wir uns jeden Tag auf unsere Sinne und Sinneserfahrungen einlassen und sie genießen.
Nach allen Regeln der Geschmacksschule
Schlechtes, mit Zusatzstoffen zugesetztes Essen lässt den Geschmack verkümmern. Einfache Regeln wirken dem entgegen:
- Ziehen Sie frische Lebensmittel dem Fertigprodukt und Fast Food vor
- Nehmen Sie sich Zeit: langsam Essen, kleinere Bissen nehmen, anstatt zu schlingen
- Kauen Sie das Essen gut, nur so kann sich Ihr Körper optimal auf die Verdauung vorbereiten
- Würzen und Salzen Sie moderat, zu viel Gewürz kann die Sinneswahrnehmung überreizen
- Regelmäßige und fachgerechte Mundhygiene und Zahnpflege halten die Mundpartien gesund – dabei sollte man aber mindestens eine halbe Stunde zwischen Essen und Zähneputzen vergehen lassen, denn sonst wird der Zahnschmelz angegriffen und der Verdauungsprozess kommt aus dem Gleichgewicht