Serie "Sinne"
Das Ohr
Es ist wohl unser Sinnesorgan mit der längst-möglichen Dienstzeit: Bereits im Mutterleib beginnt das Gehör seine Arbeit. Die Höreindrücke stimmen den Embryo auf seine kommende Umwelt ein und schaffen eine ganz besondere, emotionale Verbindung mit der Stimme der Mutter. Unser ganzes Leben lang ist unser Gehör 24 Stunden am Tag auf Empfang und ermöglicht uns damit, schnellstmöglich auf Geräusche zu reagieren. Selbst bei Bewusstlosigkeit und Koma kann unser Hörsinn weiter funktionieren. Er ist der letzte Sinn, der beim Sterben aufhört zu funktionieren.
Im Laufe der Evolution wurde der Hörsinn vor allem benötigt, um schnell auf Gefahren mit Flucht oder Verteidigung reagieren zu können, auch wenn andere Sinnesorgane, z.B. nachts die Augen, sich ausruhen. In unserem heutigen Leben nutzen wir diese Alarmbereitschaft vor allem, um schnell handeln und so z.B. zu Hilfe eilen zu können, sei es in Nacht- und Notdiensten von medizinischem Personal und Rettungskräften oder ganz einfach im häuslichen Umfeld, wenn Kinder oder pflegebedürftige Angehörige Unterstützung benötigen.
Der Schall
Dabei reagiert unser Ohr auf rhythmische Druckwellen in Luft (oder Wasser), die Schall genannt werden. Durch mechanische Schwingungen von z.B. Stimmbändern, Instrumentensaiten oder auch Blättern eines Baumes im Wind werden Luftdruckschwankungen (Über- und Unterdruck) erzeugt, die sich als Schallwellen ausbreiten. Je größer diese Luftdruckschwankungen sind, desto größer ist die Schallintensität und umso lauter ist das Geräusch.
Als Frequenz wird die Zahl der Luftdruckschwankungen pro Sekunde bezeichnet. Eine einzelne Frequenz entspricht einem Ton. Eine hohe Zahl an Luftdruckschwankungen pro Sekunde wird als hohe Frequenz und letztlich als hoher Ton wahrgenommen.
Das Gehör
Sehr langsame Luftdruckschwankungen, wie z.B. die Luftdruckschwankungen des Wetters, kann das menschliche Ohr nicht wahrnehmen. Sie liegen außerhalb unseres Hörbereichs, der zwar eine große Bandbreite von Schalldruckpegeln und Frequenzen umfasst, jedoch begrenzt ist und sich im Laufe unseres Lebens auch deutlich verändern kann. Hören wir in jungen Jahren ungefähr in einem Frequenzbereich von 16 bis 20.000 Herz, können im Alter hohe Frequenzen ab 12.000 Herz oft nicht mehr wahrgenommen werden. Auch die Sensitivität gegenüber dem Schalldruck kann nachlassen, was bedeutet, dass eine höhere Lautstärke nötig ist, um vom (geschädigten) Gehör erfasst werden zu können.
Die Wahrnehmung von akustischen Signalen wird wesentlich bestimmt durch das Umformen und Verarbeiten der Schallschwingungen auf ihrem Weg vom Außenohr über das Mittelohr hin zu den Nervenzellen des Innenohrs. Dabei werden die physikalischen Schwingungen im Innenohr in elektrische Impulse umgewandelt, die über den Hörnerv ins Gehirn weitergeleitet werden, wo durch Bewertung und Einordnung der eigentliche Höreindruck entsteht. Dieser Weg wird innerhalb einer Zehntel Sekunde zurückgelegt, was die große Leistungsfähigkeit unseres Zentralen Nervensystems eindrucksvoll aufzeigt.
Das Außenohr
Der Schall wird von unseren Ohrmuscheln aufgefangen und in Richtung Trommelfell weitergeleitet. Die zahlreichen Erhebungen und Vertiefungen unserer Ohrmuscheln ermöglichen es uns dabei, die Einfallsrichtung des Schalls zu erkennen: Ist die Lärmquelle vor oder hinter uns? Kommen die Geräusche von oben oder von unten? Durch einen zeitlichen Unterschied des Höreindrucks zwischen dem rechten und linken Ohr können wir uns optimal orientieren und die Richtung, in der sich die Schallquelle befindet, genau ausmachen.
Das Außenohr umfasst neben der Muschel auch den Ohrknorpel, das Ohrläppchen, den äußeren Gehörgang und die Außenseite des Trommelfells.
Das Mittelohr
Das Trommelfell schirmt den pneumatisierten Hohlraum (Paukenhöhle) des Mittelohrs von der Umwelt ab und fungiert als Schalldruckempfänger und Sensor. Im Mittelohr erfolgt die Schallweitergabe durch die Gehörknöchelchen – Hammer, Amboss und Steigbügel – an das ovale Fenster des Innenohrs.
Die Gehörknöchelchen bilden ein leicht bewegliches Hebelsystem und ermöglichen die Vermittlung des Schalls von der Luftleitung im Gehörgang zur Flüssigkeitsleitung im Innenohr. Die Eustachische Röhre verbindet das Mittelohr mit dem Nasenrachenraum und ermöglicht sowohl den Flüssigkeitsablauf der Schleimhaut des Mittelohrs als auch den Druckausgleich zwischen Mittelohr und Umwelt.
Das Innenohr
Das Innenohr befindet sich in einem kleinen knöchernen Hohlraum (auch „knöchernes Labyrinth“ genannt) und besteht aus einem membranösen Labyrinth, das zwei Systeme beinhaltet: die Hörschnecke (Cochlea) und das Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan).
Beide Systeme weisen denselben Aufbau auf. Sie sind flüssigkeitsgefüllt und besitzen in ihren Membranen hochspezialisierte
Rezeptorzellen, Haarzellen genannt, die mit ihren feinen haar-
artigen Fortsätzen die Bewegungen der Flüssigkeit innerhalb des Systems aufnehmen. Diese Bewegungen lösen am Boden der
zylinderförmigen Haarzelle Nervenimpulse aus, die als elektrische Signale über den Hörnerv an das Gehirn weitergeleitet werden.
Auswertung der akustischen Signale
Über die Hörbahn gelangen die Signale zum Auditiven Cortex, dem Hörzentrum unseres Gehirns. Erst hier findet die eigentliche Hörwahrnehmung statt. Der gehörte Schall wird ausgewertet, mit bisherigen Hörerfahrungen verglichen und emotional eingeordnet: Nehmen wir ihn als Lärm wahr, oder wird er von uns als positiv, vielleicht sogar als Genuss, empfunden? Dies ist der Ort, an dem Sprache verstanden wird und vertraute Stimmen und Klänge wiedererkannt werden.
Gehör und Psyche
So beruhigend und entspannend vertraute, harmonische Klänge auf unseren gesamten Körper wirken können, so alarmierend und aufwühlend, zum Teil sogar schmerzhaft, können extreme akustische Signale oder auch dauerhafter Lärm auf unseren gesamten Organismus wirken.
Der französische HNO-Facharzt Alfred Tomatis, geb. 1920 in Nizza, beschäftigte sich intensiv mit dem Zusammenhang zwischen Gehör und Psyche. Er wies als einer der Ersten auf das Hörvermögen des Embryos im Mutterleib und die Beeinflussung der emotionalen Mutter-Kind-Bindung durch die mütterliche Stimme hin. Durch seine Studien erkannte er den engen Zusammenhang zwischen Hörvermögen, Sprache, Stimme und Psyche und entwickelte aus seinen Erkenntnissen u.a. akustische Therapiemöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen.