GESUND ODER KRANK?
Ohne Befund
Die Ärztin nimmt das Stethoskop ab und lächelt: „Sie können sich wieder anziehen, sieht alles gut aus, kein Befund!“ Der Satz „Patient ohne Befund“ lässt viele Deutsche aufatmen. Durch den regelmäßigen Besuch beim Arzt wird man nicht krank, so die Annahme. Ein Irrtum.
Erleichterung?
„Keine Diagnose“ kann also erst einmal wie eine Erleichterung klingen, ist in manchen, doch nicht so wenigen Fällen aber eher eine Belastung. Viele Menschen, die unerklärliche Beschwerden haben, würden gerne wissen, woran sie leiden.
Übrigens: Sieben Jahre „tingeln“ diese Menschen im Schnitt von Arzt zu Arzt bis sie andere Wege suchen, die ihnen helfen, wieder gesund zu werden. Der Weg führt sie dann zum Beispiel zum Psychologen oder zu alternativen Therapeuten.
„Ohne Befund“ ist also manchmal keine Erleichterung, sondern ein Herumirren in der eigenen Unsicherheit, in der Angst, krank zu sein. Es hinterlässt ein unangenehmes Gefühl, Beschwerden zu haben, aber keinen Namen dafür; als verrückt zu gelten, weil man ja empfindet, wie man empfindet, und man möglicherweise als Hypochonder und zu sensibel abgetan wird. Für manche eine Höllentour.
Chance
Dennoch ist „ohne Befund“ auch eine große Chance, die Sprache des Körpers wieder verstehen zu lernen, sich mit anderen Heilmethoden als den gängigen auseinanderzusetzen, sein Denken zu erweitern für das, was Heilung ausmacht. Das Leiden zwingt uns eben, ein Gefühl für uns selbst zu entwickeln und zu kultivieren, das uns erlaubt, uns selbst der beste Doktor zu sein. Das bedeutet, für sich selbst zu wissen, was der nächste Schritt ist, wieder in die Balance zu finden. Wer leidet, hat den Druck, sich neu zu orientieren. Manchen hilft das In-Sich-Gehen, das Lauschen auf das, was in der Seele vor sich geht. Wem ein gutes Gefühl von Kind an nicht abtrainiert worden ist, wer zum Beispiel entscheiden durfte, was er isst, hat größere Chancen, die oft sehr leise Stimme zu hören, was einem im Moment, jetzt gerade gut tut. Zur Ruhe kommen, auf sich lauschen und die innere Stimme wieder hören, kann da sehr hilfreich sein. Menschen, die z.B. regelmäßig meditieren, lernen wieder oder haben mehr Übung darin, sich selbst wieder zuzuhören.
Der Mensch – eine Maschine?
Manchen gelingt es, sich zu spüren. Andere brauchen Hilfe, die es heutzutage zum Glück auch jenseits der Schulmedizin gibt, ohne dass „Hexerei“ im Spiel ist und es als „Scharlatanerie“ abgetan wird. Inzwischen beschäftigen sich doch einige Gesundheitsexperten mit den Erscheinungen unserer Zeit: Osteopathen sehen z.B. zu viel Ansprache des sympathischen Nervensystems in unserer Gesellschaft, was mit einem „Nicht-zur-Ruhe-kommen“ einhergeht. Umweltmediziner schauen, wie sie dem von Umweltgiften überlasteten Körper Hilfe angedeihen lassen können. Heilpraktiker und der Naturheilkunde verbundene Ärzte kümmern sich darum, Heilung aus der Natur speziell und individuell für den Patienten zu finden.
Viele wissen schon wie die alten Weisen, wie Hildegard von Bingen, um nur eine zu nennen, dass manche Menschen Unterstützung brauchen, sich selbst wieder zu spüren, den Körper als zu einem selbst zugehörig und nicht als funktionstüchtige Maschine wahrzunehmen.
Gesund oder krank?
Wo aber ist nun die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit? Man selbst kann sich das sicher am besten beantworten, so wie man sich fühlt. Wenn man wenig oder kein Gespür für seinen Körper hat, was ist dann normal?
In unserer Zeit ist es oftmals gar nicht mal so klar, was „normal“ ist. Schaut man sich
allein den Konsum mit elektronischen Medien an, so ist für den einen eine halbe Stunde Bildschirmarbeit oder -unterhaltung schon eine nervliche Herausforderung, ein anderer kann locker mehrere Stunden vor dem Gerät verbringen.
So ist es auch in der Heilkunde: Was für den einen schon pathologisch, also krank ist, ist für den anderen eine kleine Dysbalance. Wo ist die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit? Ist „Krankheit“ nicht reine Definitionssache?
Der Durchschnittsmensch?
Man hat versucht, Werte festzulegen, die diese Grenze definieren. Diese Werte entsprechen dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Wichtig zu wissen ist, dass dieser Wert nur aussagt, dass man eben genauso krank oder gesund ist wie der Durchschnitt, aber nichts über die individuelle Krankheit oder Gesundheit. Beispiel „Cholesterinwerte“: Hohe Cholesterinwerte gelten als krank. Aber muss man bei einem gut trainierten Sportler mit einem sehr guten Allgemeinbefinden diesen „zu hohen“ Wert mit Medikamenten behandeln? Das bleibt dahingestellt, wahrscheinlich eher nicht.
Deswegen gilt: Ein Wert hat nicht unbedingt eine Aussagekraft, ob man gesund oder krank ist. Insofern sind diese gemessenen Werte nicht immer dienlich. Glücklich der, der einen Therapeuten hat, der die Persönlichkeit, die Geschichte und die individuellen Reaktionen auf das Leben gut kennt und individuelle Erfahrungswerte trotz aller Normwerte evaluieren und diese bewerten kann, um zusammen mit dem Patienten einen dienlichen Weg zur Heilung zu verfolgen.
Das gleiche gilt für Dosierungen: So gibt es Menschen, die eine gewisse Dosierung, die allgemein empfohlen wird, überhaupt nicht vertragen; andere brauchen die doppelte Dosierung, damit der Körper reagiert. Zudem kommt, dass die empfohlenen Durchschnittswerte, zum Beispiel bei Vitamin D, auf der Grundlage einer kranken Gesellschaft festgelegt sind. Der laut allgemein gültigem Labor ausreichende Wert liegt bei 30 ng/ml, gesunde Menschen sind laut Erfahrungen von Spezialisten jedoch mit 40 - 60, chronisch Kranke auch höher, zwischen 60 und 80 ng/ml einzustellen.
Fakt ist: Medizin ist und bleibt eine individuelle Sache.
Morbus Google
Und eine häufig gestellte Frage in diesem Zusammenhang, was die eigenen Beschwerden „ohne Befund“ angeht: Kann das Internet als Informationsquelle dienen? Gut ist, wenn man auch da ein gutes Gefühl für sich selbst behält, bevor man sich der – oft negativen, Angst machenden – Informationsflut im Netz hingibt. Sicher gibt es seröse Quellen, vieles ist jedoch schwer zu beurteilen. Manche sprechen sogar vom „Morbus Google“, der Krankheit, Informationen aus dem WorldWideWeb für bare Münze zu nehmen.
Bleibt zum Schluss zu sagen: „Ohne Befund“ ist also eher eine Chance als eine Bürde. Denn da fängt der Weg der individuellen Heilung an.
»Der Körper ist der Tempel,
in dem die Seele wohnt.
Pflege ihn.«
Hinduistische Weisheit