OSTEOPATHIE
Magen und Parasympathikus
…oder warum der Ausgleich
beider Gehirnhälften zu
einem gesunden Magen führt
Viele Menschen stehen unter Alltags-Belastungen, die sich körperlich bemerkbar machen. So betrifft es auch oft unser empfindliches Organ, den Magen. „Etwas schlägt uns auf den Magen“, so drückt es der Volksmund aus, was impliziert, dass auch seelische Belastungen sich in Magenbeschwerden widerspiegeln. Viele konsultieren bei Magenbeschwerden den Arzt, der meist Medikamente verabreicht. In vielen Fällen sind Medikamente gar nicht nötig. Meist wird der Aspekt, dass Magenbeschwerden mit z.B. Verspannungen zu tun haben können, außer Acht gelassen.
Dr. Helga Pohl, ausgebildete psychologische Psychotherapeutin, entwickelte die „Sensomotorische Körpertherapie“ und beleuchtet in ihrem Buch „Unerklärliche Beschwerden“, welche Rolle Verspannungen im Körper bei vielen Beschwerden spielen. Das ist für viele ein vielleicht neuer Gedanke. Aber auch die Balance der beiden Gehirnhälften trägt wesentlich zur Gesundheit bei.
Heute dürfen wir im Interview mit Tillmann Einenkel, Osteopath aus München, erfahren, wie der Mensch seinem Körpergefühl vertrauen und einen Weg gehen kann, der dem Körper viel Chemie und Eingriffe ins System erspart. Der Ansatz der Osteopathie nach Andrew Taylor Still ist: Der Körper hat alle Voraussetzungen, selbst zu heilen. Der erfahrene Osteopath gibt Auskunft, welche Zusammenhänge es zwischen Störungen im Bewegungsapparat und Organbeschwerden gibt.
Sabine Birk: Herr Einenkel, Sie sind Osteopath. Was fasziniert Sie an der Osteopathie?
Tillmann Einenkel: Mich faszinieren die Gesamtzusammenhänge und die natürlichen Mechanismen des menschlichen Bewegungsapparats. Was mich schlichtweg interessiert, ist der Zusammenhang der Phylogenese und der Ontogenese, also wie ist das Leben auf der Erde entstanden und wie hat sich der Mensch entwickelt. Ich beleuchte die Frage: Können wir die Funktionen verstehen? Und wenn wir sie nicht verstehen, dann können wir das Vertrauen haben, dass die Natur das richtig eingerichtet hat. Wir sehen ja tagtäglich, dass der Körper funktioniert. Und die Arbeit am menschlichen Körper zeigt, dass wir als Therapeuten gar nichts machen, sondern der menschliche Körper selbst.
SB: Wie gehen Sie in einer Behandlung vor, wenn Sie unterstützen?
TE: Für mich ist das wichtigste die Anamnese. Daraus erkenne ich die Antworten für die Symptomatik. Der Körper ist einfach ein System, bestehend aus dem Bewegungsapparat, Organsystem und Nervensystem. Alle drei Systeme greifen wie ein Zahnrad ineinander. Der Ort der Ursache und die Symptomatik sind zwei paar Stiefel.
SB: Wie arbeitet die Osteopathie mit diesen drei Systemen?
TE: Unser System ist embryologisch ganz klaren chronologischen Entwicklungsprozessen unterlegen. Aus diesen chronologischen Entwicklungen ergeben sich gewisse Hierarchien. Wenn ein Patient also kommt, geht man den embryologischen Entwicklungsschritt einfach rückwärts und schaut, welche Systeme voneinander hierarchisch abhängig sind und überprüft, ob die nächstübergeordneten Zentren im Gleichgewicht sind oder nicht.
SB: Können Sie ein Beispiel eines Symptoms und dessen Behandlung geben?
TE: Ein Patient kommt mit Schulterbeschwerden. Also hat der Bewegungsapparat das Problem. Bei Frauen (manchmal auch bei Männern) ist oft das hormonelle System durcheinander. Das hormonelle System beeinflusst den Bewegungsapparat. Wenn das hormonelle System nicht im Gleichgewicht ist, schaut der Osteopath, welches das übergeordnete System ist. Das ist das Verdauungssystem, der Darm. Wenn der Darm auch im Ungleichgewicht ist, dann gibt es eine Gemeinsamkeit: Beide Systeme – hormonell und Darmsystem – sind Drüsensysteme. Drüsensysteme werden über das vegetative Nervensystem gesteuert, parasympathisch. Das vegetative Nervensystem entwickelt sich beim Embryo ganz am Anfang. Ganz am Anfang in der Entwicklungskette schaue ich dann, dass ich das System ins Gleichgewicht bringe. Das erste, was ich bei der körperlichen Behandlung mache, ist alles, was mit dem vegetativen Nervensystem in Verbindung steht.
SB: Wie kann der Patient selbst mitgestalten?
TE: Jeder Mensch kann für einen Ausgleich der linken und rechten Gehirnhälfte sorgen. Links steht für Struktur, rechts für Kreativität und Emotionalität. Gesellschaftlich haben wir hier den Schwerpunkt oft auf der linken Gehirnhälfte, so dass das vegetative Nervensystem oft „sympathisch“ angesprochen ist, d.h. sehr viel Adrenalinausschüttung, die über die Nebenniere ins Blut abgegeben wird. Dies sorgt dafür, dass wir hellwach sind, allerdings finden die ganzen Regenerations- und Reparationsprozesse nicht statt. Hier wird in der Behandlung und auch im Lebensstil des Patienten der parasympathische Anteil angesprochen. So kommt dann das Verdauungssystem, das hormonelle System, das vegetative System ins Gleichgewicht.
SB: Kennen Sie das Phänomen, dass Beschwerden erst mal nicht mit z. B. Verspannungen in Verbindung gebracht werden?
TE: Das kenne ich gut. Das hängt damit zusammen, dass die klassische Medizin sehr stark auf der Grundlage des zellularpathologischen Konzepts arbeitet, das 1855 entstanden ist, also fast zeitgleich mit dem Konzept der Osteopathie. Im Konzept der Medizin gilt: Da, wo es wehtut, schaut man. Oft ist es den Menschen einfach nicht bewusst, dass Beschwerden andere Ursachen haben können. Mir geht es in meiner Arbeit besonders darum, im Menschen das Bewusstsein für das Zusammenspiel im menschlichen Körper zu wecken. Ich lade die Menschen ein, auf bestimmte Bereiche selbst zu schauen.
SB: Wie hängen Muskeln, Faszien und die jüngst nachgewiesenen Meridiane aus osteopathischer Sicht zusammen?
TE: Andrew Taylor Still hat Prinzipien entwickelt. Eins davon ist: Struktur und Funktion bedingen sich gegenseitig. Das heißt, wenn die Struktur ins Ungleichgewicht gerät, also die Funktion verändert, dann folgt daraus ein Mobilitätsverlust. Damit sind wir im anatomischen Bereich, d.h. einen Mobilitätsverlust finden wir in den Bereichen „Muskulatur, Bänder“, in den „Faszien“, also in den Hüllen von Organen und Muskeln, und im „Organsystem“. Wenn ich da einen Spannungsaufbau habe, organisiert sich der Körper rund um diesen Spannungsaufbau. Er kompensiert, gleicht aus, was an Spannung im Körper da ist und das gibt dann oft Erscheinungen, die auch weit weg von der Ursache sein können. Das heißt, eine Funktionsveränderung führt zu einem Mobilitätsverlust.
SB: Zum Thema „Magenbeschwerden“. Oft werden in der klassischen Medizin bei Magenbeschwerden starke Medikamente gegeben, die manchmal schon in die Hirnstruktur eingreifen. Wie gehen Sie mit Magenbeschwerden um?
TE: Ich schaue mir die Einflüsse an, und die wichtigste Frage ist: wann hat es begonnen? Wie lange besteht das Problem und wie ist der Verlauf? Anamnese, ausführliche Untersuchung und die Funktionstests. Und dann die osteopathische Behandlung. Wichtig ist die Anamnese. Der Körper reguliert ja sich selbst. Ich schaffe die Voraussetzungen, dass der Patient ein Feld schafft, in dem der Körper selbst regulieren kann. Der Patient erkennt und verändert selbst sein Leben. Wir schulen das Bewusstsein, dass Beschwerden rund um den Magen mit Reizen zu tun haben, die von außen auf das System einwirken. Hier habe ich festgestellt, dass es immer mit folgenden 5 Bereichen zu tun hat: Ernährung, Trinkverhalten, Schlafverhalten, Bewegungsverhalten, Stressverhalten.
SB: Welche Menschen kommen zu Ihnen?
TE: Wir behandeln viele orthopädische Probleme: Rücken, Nacken, erster Halswirbel. Organische Beschwerden. Und auch schwere Fälle mit Nervenerkrankungen, Multipler Sklerose, bei denen es um die Erhaltung der Lebensqualität und um eine Angstminderung vor der Krankheit geht. Hier geht es darum zu zeigen, dass der Patient selbst etwas tun kann, und darauf zu fokussieren, was der Körper alles kann, und nicht, was er nicht kann. Oft kommen Menschen, die geplagt sind von Symptomen, die meist in der Schulmedizin austherapiert sind. Das Gros der Patienten kommt mit einer körperlichen Symptomatik.
SB: Hat die Osteopathie bei Ihnen persönlich etwas verändert?
TE: Ja. Ich gehe viel achtsamer und demütiger mit der Natur um.
SB: Haben Sie einen abschließenden Tipp für unsere Leser?
TE: Das wichtigste ist, egal, welche Entscheidungen man im Leben trifft, hinter seiner eigenen Entscheidung zu stehen. Und zu wissen, man kann sich jederzeit umentscheiden. Wenn man hinter sich steht und die Verantwortung für sich selbst übernimmt, kommt der Körper in Balance. Es geht hier letztendlich um Selbstwert und Selbstbewusstsein.
SB: Ich danke Ihnen, Herr Einenkel, für dieses informative und schöne Gespräch.
Lebenslauf
Tillmann Einenkel
Osteopath M.Sc.D.O.®
Abitur
Ausbildung zum Physiotherapeut
7 Semester Studium der Humanmedizin
Kennenlernen der Gesamtzusammenhänge des menschlichen Körpers in der Osteopathie
Fünfjährige Ausbildung zum Osteopathen am Sutherland College in Ulm
Abschluss mit dem akademischen Titel zum Diplom-Osteopathen an der Donau-Universität in Krems, basierend auf der Wiener Schule für Osteopathie
Abschluss zum Heilpraktiker
Eigene Osteopathie-Praxis in München
Quellen:
Buch von Dr. Helga Pohl „Unerklärliche Beschwerden“; Yogawissen aus Shakti Dance®, Yoga des Tanzens;
www.kidler19.de, Schmerztherapie nach Hock,
www.osteopathie.de